Neue Erkenntnisse zur Funktionsweise von Hirnnetzwerken

11.04.2025

Balance zwischen Ordnung und Unordnung bestimmt offenbar kognitive Fähigkeiten

Forschende der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Berlin Institute of Health in der Charité (BIH) haben neue Erkenntnisse zur Funktionsweise von neuronalen Netzwerken in der Hirnrinde gewonnen. Hier beantwortet Studienleiter PD Dr. Christian Meisel Fragen zu den Forschungsergebnissen.

Welche wissenschaftliche Fragestellung liegt Ihrer Studie zugrunde?

Unser Denkvermögen und, allgemeiner, kognitive Fähigkeiten sind das Ergebnis der Aktivität in Gehirnnetzwerken, die bei neuropsychiatrischen Erkrankungen wie Epilepsie oft beeinträchtigt sind. Physik und Informationstheorie legen nahe, dass Gehirnnetzwerke optimal an einem kritischen Zustand zwischen Ordnung und Unordnung funktionieren. Der experimentelle Zusammenhang zwischen kognitiver Leistung und diesem kritischen Zustand, also ob Kognition wirklich von der Nähe zu einem kritischen Zustand profitiert, ist jedoch bisher schwer fassbar gewesen.

Wie sind Sie vorgegangen?
In dieser Studie haben wir über mehrere Tage per intrakraniellem EEG die elektrischen Ströme im Gehirn von 104 Personen mit Epilepsie erfasst und die Aktivität der neuronalen Netzwerke bestimmt. Wir haben zusätzlich die kognitive Leistungsfähigkeit der Patientinnen und Patienten in verschiedensten Bereichen erhoben, beispielsweise in Bezug auf Sprache, Aufmerksamkeit oder Kurzzeitgedächtnis. Wir haben uns dabei auch verschiedene Faktoren genauer angesehen, von denen bekannt ist, dass sie die Kognition negativ beeinflussen können.

Was haben Sie herausgefunden?
Wir konnten zeigen, dass die Nähe zu einem kritischen Zustand die kognitive Leistung in mehreren Bereichen vorhersagt. Je weiter die Aktivität in den Hirnnetzwerken von dem optimalen Zustand zwischen Ordnung und Unordnung entfernt war, umso schlechter schnitten die Patienten in den kognitiven Tests ab. Unterschiedliche Faktoren, die sich negativ auf die Kognition auswirken können – darunter Epilepsie-typische Hirnaktivität, Epilepsie-Medikamente und schlafähnliche Episoden – haben alle dieselbe Wirkung: Sie alle stören den (optimalen) kritischen Zustand.

Welches Fazit können Sie ziehen?
Unsere Ergebnisse stützen die These des kritischen Zustands – dass also das Gehirn nur optimal funktionieren kann, wenn die Nervenzellen innerhalb von Hirnnetzwerken weder zu geordnet noch zu ungeordnet zusammenarbeiten. Einschränkungen der kognitiven Fähigkeiten, z.B. bei Epilepsie, gehen dementsprechend mit einer Abweichung der Hirnaktivität von diesem Zustand einher.

Abbildung: Schematische Darstellung eines Gehirnnetzwerks: Nur wenn die Nervenzellen weder zu geordnet noch zu ungeordnet zusammenwirken, ist das Gehirn optimal leistungsfähig © Charité | Paul Manuel Müller

 

Quelle
Müller PM et al. Critical dynamics predicts cognitive performance and provides a common framework for heterogeneous mechanisms impacting cognition. PNAS 2025 Apr 03. doi: 10.1073/pnas.2417117122 Link
Pressemitteilung Charité

Kontakt
PD Dr. Christian Meisel
Berlin Institute of Health in der Charité (BIH) und
Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie
Charité – Universitätsmedizin Berlin

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